«Ich habe gelernt, meine Bedürfnisse einzufordern»

Nach zwei spontanen Hörstürzen ist Beat Junker mit knapp 40 Jahren nahezu gehörlos. Seinem Motto «Immer das Beste daraus machen!» getreu, holt er sich sein Leben nach und nach zurück. Heute erklimmt er wieder Gipfel und lebt ein fast normales Leben.

Der leidenschaftliche Bergsportler Beat Junker ist gerade im Kaukasus unterwegs. Kurz nach einer Gipfelbesteigung, auf 5600 Metern über Meer, hört er auf dem linken Ohr plötzlich nichts mehr. «Ich dachte, es hätte mit der Höhe zu tun, da mir später auch schwindlig und übel wurde.» Zurück in der Schweiz stellt der Arzt bei dem damals 28-Jährigen allerdings einen Hörsturz fest. Für eine erfolgsversprechende Behandlung ist es zu spät. So muss Beat Junker sich damit abfinden, dass er links annähernd taub bleibt.

Und dann auch das rechte Ohr

Weil er sich dadurch kaum eingeschränkt fühlt, erzählt er fast niemandem davon. Vielmehr macht er wie so häufig in seinem Leben das Beste aus der Situation, arbeitet auch weiterhin als Architekt. Bis das Schicksal knapp elf Jahre später wieder zuschlägt: Wie aus dem Nichts erleidet er in den Ferien auch auf dem rechten Ohr einen Hörsturz. Jetzt hört er gar nichts mehr. «Das war sehr schwierig» erinnert er sich ergriffen, «auf der zwölfstündigen Fahrt nach Hause hörte ich nicht einmal mehr, dass meine Tochter auf dem Rücksitz weinte.»

Kommunikation in der Stille

Auch der Austausch mit anderen ist nun erheblich erschwert. Beat Junker kann zwar sprechen, aber es ist ihm sehr unangenehm, weil er sich selbst dabei nicht hören kann. Sein Umfeld muss schriftlich mit ihm kommunizieren. Mal unterstützt dabei die Spracherkennung auf dem Handy, mal schreibt sein Gegenüber auf Zettel. Das ist nicht immer einfach, und auch unangenehme Diskussionen sind so quasi protokolliert: «Wenn ich später zufällig einen Zettel wiederfand, erinnerte es mich an die Auseinandersetzungen», erzählt er bewegt.

Neuanfang mit Hörtraining

Nach drei Monaten wird Beat Junker schliesslich ein Cochlea Implantat eingesetzt. Auf der rechten Seite trägt er nun ein Hörgerät. Um das Sprachverständnis zu trainieren, absolviert er ein Hörtraining und übt täglich fleissig mit der Tagesschau: Zunächst schaut er sie mit Untertiteln, dann spult er zurück und schaut sie nochmals ohne. «Ich wollte mich nicht mit 40 in eine geschützte Werkstatt zurückziehen und den Rest meines Lebens isoliert dastehen», begründet er seinen starken Antrieb. Weil er zuvor hörend war, muss er das Hören aber nicht komplett neu lernen, sondern kann sich an viele Geräusche erinnern. Weshalb der Architekt die Hörstürze überhaupt erlitten hat, weiss er nicht: «Ich denke, dass sie Spätfolgen einer schweren Hirnhautentzündung im Kindergartenalter waren.»

Von Scham zu Selbstvertrauen

Wie viele Schwerhörige hatte auch der heute 43-Jährige zunächst mit Scham zu kämpfen. «Ich trug zunächst die Haare absichtlich länger, um den Knopf am Ohr zu verstecken», erinnert er sich. Mittlerweile hat er die Haare geschnitten und steht offen zu seiner Schwerhörigkeit. So nehmen die Menschen auch mehr Rücksicht auf ihn. «Ich habe zudem gelernt, meine Bedürfnisse einzufordern, dadurch hat auch mein Selbstvertrauen zugenommen.»

Der Technologie ausgeliefert

Seine Raumwahrnehmung ist zwar auch mit Hörgerät und Cochlea-Implantat nicht gut, weil die zwei Geräte unterschiedliche Signale senden. Dafür kann er durch die Kombination der beiden Hörhilfen Gesprächen weitaus besser folgen als andere mit nur einem Cochlea Implantat. «Wenn das eine oder andere Gerät aussteigt oder ich es ausziehe, fehlt mir mehr als die Hälfte», erklärt er und fügt nachdenklich an: «Ich bin der Technologie komplett ausgeliefert.»

Das holt ihn etwa ein, wenn er morgens vergisst, den Akku der Geräte zu wechseln und diese später unterwegs auszuschalten. Auch wenn er in einer SAC-Hütte übernachten will, muss Beat Junker immer an das Ladegerät und seinen Vibra-Reisewecker denken. Auf der Arbeit ist ihm zudem wichtig, dass er im Büro niemandem im Rücken hat. Denn seine Hörgeräte sind auf Sprache und nach vorne ausgelegt, deshalb erschreckt er leicht, wenn jemand hinter ihm vorbeiläuft.

Aktiv und voller Tatendrang

Ansonsten tut er aber genau dasselbe im Leben wie zuvor. Er geht arbeiten, kümmert sich um seine Familie und ist in der Freizeit sehr aktiv. Auch das Bergsteigen hat er wieder aufgenommen, leitet Bergtouren für Jugendliche. «Aufgrund der Hörstürze habe ich allerdings ein schlechteres Gleichgewichtsgefühl als zuvor, deshalb bin ich in den Bergen defensiver unterwegs.» Manchmal erntet er erstaunte Blicke, wenn er beim Bergsteigen sein Handy zückt, um mit seinem Kletterpartner zu kommunizieren. «Auch hier ist das Handy eines der schnellsten und einfachsten Hilfsmittel», schmunzelt er.

Gehörlos: Wenn Hände zu Mündern und Augen zu Ohren werden

Fast 1,3 Millionen Menschen in der Schweiz sind hochgradig schwerhörig, davon sind rund 20 000 bis 30 000 Menschen seit Geburt gehörlos. Hörbehinderte sind in einer Welt von Hörenden mit Kommunikationsbarrieren konfrontiert, die sie spürbar benachteiligen. Die neueste Folge unseres Podcasts nimmt sich dem Thema an.
18.03.2025 / 1-2025

SWICA – mehrfach die Nr. 1 in Kundenzufriedenheit

K-Tipp Krankenkassenvergleich