Was lange währt, wird zum Glück meistens gut
Als ob eine akute Covid-19-Erkrankung mit Isolation und Quarantäne für nahe Kontaktpersonen nicht schon schlimm genug wäre. Mittlerweile weiss man, dass sie langfristige Folgen haben kann, die noch monatelang verschiedenste Symptome verursachen. «Bis zu 20 Prozent der erwachsenen Personen leiden drei Monate nach den ersten Symptomen an Langzeitfolgen. Ungefähr jede dritte Person mit einem schweren Verlauf und jede sechste Person mit mildem oder asymptomatischem Verlauf ist davon betroffen, Frauen deutlich mehr als Männer», liess das Bundesamt für Gesundheit BAG im Oktober 2021 verlauten.
Von «Post Covid» oder «Long Covid» spricht man, wenn bei einer Person mit einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion die Symptome mindestens acht bis zehn Wochen anhalten oder innerhalb von drei Monaten danach auftauchen und sich nicht durch andere Ursachen erklären lassen. Die Symptome nach einer anfänglichen Genesung von Covid-19 können neu auftreten oder nach der Erkrankung fortbestehen. Sie können schubweise kommen oder nach einer vermeintlichen Heilung plötzlich zurückkehren. Auch Kinder können von Langzeitfolgen betroffen sein; allerdings treten diese nur bei zwei bis drei Prozent auf. Trotzdem kann Long Covid auch bei jungen Menschen massive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Bewältigung des Alltags haben.
Verschiedene Organsysteme brauchen Hilfe
Zu den häufigsten Langzeitfolgen wie allumfassende, grosse Erschöpfung (Fatigue), Atemprobleme bis hin zu Atemnot und beeinträchtigte Gehirnleistung (Brain Fog) gesellen sich noch eine ganze Reihe weiterer Beschwerdebilder. Je nach Patientin und Patient sind verschiedene Organsysteme unterschiedlich stark betroffen: Appetit und Verdauung, Geschmacks- und/oder Geruchssinn, Hals, Nasen, Ohren, Haut und Haare, Herz und Kreislauf oder die Psyche. Häufig treten auch Schlafprobleme, Muskel-, Glieder- und Gelenkschmerzen sowie allgemeine Schwäche auf.
Obwohl sie nicht mehr akut krank sind, können Long-Covid-Betroffene ihren Alltag oft kaum noch bewältigen. Weil es zumindest für einen Teil der Beschwerden diagnostische Befunde, medikamentöse Therapien oder andere Behandlungen gibt, sollten sie sich ärztliche Hilfe holen. Grundsätzlich ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Er überweist die Patienten an entsprechende Spezialisten oder Therapeuten. In grösseren Zentrumsspitälern existieren mittlerweile eigene Long-Covid-Spezialsprechstunden, wo man sich direkt anmelden kann. Für die Untersuchung allfälliger Langzeitsymptome und deren Behandlung steht ein spitalinternes Netzwerk von Spezialisten wie Pneumologen, Kardiologen, Infektiologen, Neurologen oder Psychiater zur Verfügung.
Erschöpfung (Fatigue)
Umfassende, übermässige Erschöpfung, die auch bei ausreichend Schlaf anhält
Atmung
Während der akuten Infektion, aber auch danach kann es zu Kurzatmigkeit und Atemnot kommen
Gehirnleistung
Konzentrationsschwierigkeiten und eine ungewöhnliche Vergesslichkeit
Geschmack und Geruch
Die Beeinträchtigung des Geschmacks- und/oder Geruchssinns kann teilweise bestehen bleiben oder sich verändern
Haut und Haare
Hautausschläge, Pusteln auf den Wangen, Nesselsucht (starke Rötungen/Quaddeln auf der Haut mit Juckreiz), Veränderungen an der Zunge («Covid-Zunge») oder Haarausfall
Schmerzen
Muskel-, Glieder- und Gelenkschmerzen, Schmerzen in Bauch und Brust, Krämpfe und Steifigkeit oder Kopfschmerzen und Migräneattacken
«Meistens braucht es Unterstützung in mehreren Bereichen»
Drei Fragen an Silke Schmitt Oggier, medizinische Leiterin santé24
Weshalb bietet santé24 für Long-Covid-Betroffene ein interdisziplinäres telemedizinisches Begleitprogramm an?
Wer auf der Intensivstation war, braucht eine Rehabilitation, um die Körperfunktionen wieder zu trainieren. Diese Patientinnen und Patienten benötigen meist eine interdisziplinäre stationäre Rehabilitation und werden in der Regel direkt aus dem Akutspital in die Reha überwiesen. Wir möchten uns eher um die Covid Erkrankten kümmern, die nicht ins Spital mussten und dadurch beeinträchtigt sind, dass ihre Covid-Symptome über mehrere Wochen anhalten oder sogar neu auftreten. Parallel zum Programmstart bei uns schicken auch wir die Patientinnen und Patienten erst einmal zur genauen Abklärung in eine Long-Covid-Sprechstunde.
Woraus besteht das Angebot?
Zuerst wird zusammen mit der Patientin oder dem Patienten anhand eines Fragebogens erhoben, welche Organsysteme und Lebenssituationen betroffen sind und wo man zuerst ansetzen soll. Bewegung, Ernährung und Psyche sind die Hauptthemenfelder, von denen man weiss, dass sie angeschaut werden sollten und dass sie den Genesungsprozess sehr unterstützen können. Je nach Priorisierung startet das virtuelle Programm mit dem Themenfeld, das am wichtigsten erscheint. Die jeweilige Fachperson – Ernährungsberaterin, Bewegungs-Coach oder Psychologin – arbeitet mit der oder dem Betroffenen online sechs- bis zehnmal. Nach einer gewissen Zeit kommt dann das zweit- und falls notwendig auch das drittwichtigste Thema dazu. Ein individueller Coach begleitet die Patienten neben den Fachspezialisten. Insgesamt dauert die virtuelle interdisziplinäre Begleitung sechs Monate. Anschliessend wird nochmals eine Auswertung vorgenommen. Das Angebot gibt es auf deutsch und englisch.
Und danach ist alles wieder gut?
Mit diesem individuellen Coaching-Programm über mehrere Monate können wir die Patienten befähigen, etwas für sich und ihre schnellere Genesung zu tun. Vor allem müssen sie Geduld haben, den Willen in einen gesunden Lebensstil zu investieren und sich dabei nicht zu überfordern. Zuversichtlich stimmt: Bei den allermeisten Long-Covid-Patienten gehen die Symptome nach sechs bis spätestens zwölf Monaten vorbei.
Die Krankheit besser kennenlernen
Das Long-Covid-Netzwerk «altea» dient dem Austausch von Betroffenen, Angehörigen, medizinischen Fachpersonen und Forschenden. Die Website enthält Ratgeber, Blogs sowie ein Ärzte- und Therapeutenverzeichnis.Der Verein «Long Covid Schweiz» wurde von Betroffenen gegründet. Auf der Website findet man Links zu Long-Covid-Sprechstunden in den Kantonen oder Tipps zur Symptomlinderung.