«Ich möchte andere motivieren, positiv zu bleiben»
«Mit knapp Vierzig können Sie nicht an Parkinson erkrankt sein!» Zu Beginn ihrer Krankengeschichte bekommt Silvia Lerch diesen Satz von Ärztinnen und Ärzten mehrfach zu hören. Und das, obwohl verschiedene ihrer Symptome auf eine beginnende Parkinson-Erkrankung hinweisen, wie Schwindel, Blutdruckschwankungen und Störungen des Gleichgewichts, Probleme mit der Motorik, unerklärlicher Gewichtsverlust. Als sie bei einer Wanderung stürzt und sich verletzt, wird sie vom Hausarzt an eine Neurologin überwiesen. Heute weiss sie, dass früher Parkinson in 90 Prozent der Fälle zuerst solche einseitigen motorischen Störungen verursacht.
Unübliche Untersuchung
Für die Oltnerin, die Trompete in einem Musikverein spielt und verschiedene Sportarten ausübt, wird nicht nur die Bewältigung des Alltags und die Arbeit, sondern auch die Ausübung der Hobbys zunehmend schwieriger. Eine Untersuchung mit einem bildgebenden Verfahren soll Klarheit schaffen. Die aufwändige Untersuchung des Gehirns ist nicht üblich für Menschen in dem Alter; die Kostenübernahme wird deshalb zunächst abgelehnt. Doch nach einem Austausch mit der Neurologin übernimmt SWICA die Kosten doch und Silvia Lerch erhält 2015 nach Jahren des Leidens und der Ungewissheit ihre Diagnose.
Fünf Jahre Stabilität
Niederschmetternd ist die Erkenntnis, dass die Hälfte der dopaminerzeugenden Gehirnzellen bereits zerstört sind. Medikamente sollen das Gehirn anregen, wieder mehr Dopamin zu produzieren. Als Silvia Lerch sieht, was die Mittel kosten, hat sie ein schlechtes Gewissen. Doch SWICA vergütet alles – und die Behandlung zeigt Wirkung. Ein fast normales Leben ist wieder möglich, sogar Trompetenspielen. Fünf Jahre dauert dieser Zustand. «Man nennt das die «Honeymoonphase» erklärt sie lächelnd.
Ab Sommer 2021 geht alles ein bisschen langsamer und das «Levodopa» muss bis im Herbst fast stündlich eingenommen werden. Die Wirkungsschwankungen (Fluktuationen) treten immer öfters auf. Statt des berüchtigten Zitterns hat sie äusserst schmerzhafte Muskelversteifungen am ganzen Körper. Der Schwindel ist wieder da. Geruch- und Geschmackssinn nur noch wenig. Für die 48-jährige sportliche Frau ist ein normaler Tagesablauf fast unmöglich, sie muss zu 100 Prozent krankgeschrieben werden. Ein Professor des Universitätsspitals Zürich schlägt vor, einen Hirnschrittmacher einzusetzen. Vor diesem Eingriff, Tiefenhirnstimulation genannt, haben viele Parkinsonkranke Angst: Er erfolgt bei Bewusstsein, um die Platzierung der Elektroden direkt prüfen zu können.
Hirnschrittmacher verbessert Lebensqualität
Silvia Lerch ist überzeugt, dass es gut kommt. Ein halbes Jahr später spielt sie Bariton, ist mit ihrem Partner in ein Haus mit Garten gezogen und geht täglich mit dem jungen Hund spazieren. Ihre Arbeit als Testmanagerin für Versicherungssoftware kann sie noch nicht aufnehmen, da sie sich nur maximal zwei Stunden lang zu konzentrieren vermag. Sie engagiert sich aber trotzdem in ihrer Selbsthilfegruppe für junge Parkinsonbetroffene. «Ich möchte andere Betroffene motivieren, positiv zu bleiben. Und Nichtbetroffene für juvenilen und frühen Parkinson sensibilisieren.»
Parkinson gilt als Alterskrankheit. Doch zehn Prozent der Erkrankten sind unter vierzig Jahre alt, wenn sie die Diagnose erhalten. Von der Gesellschaft wahrgenommen werden sie kaum, entsprechend wenig Netzwerke existieren. «Bei Parkinson Schweiz gibt es super Angebote, aber alles für Ältere», sagt Silvia Lerch. «Move for Young Parkinson Disease» (move4ypd) hat mittlerweile 35 Mitglieder und 25 Besucher, vermittelt Wissen und Kontakte, motiviert, sammelt Geld und Projekte und organisiert leichte sportliche Anlässe oder Reisen. Silvia Lerch will noch mehr bewegen. Zusammen mit Parkinson Schweiz trägt sie aktuell die Zahlen über das Auftreten von frühem Parkinson zusammen.