Eine zukunftsweisende Reform für die Schweiz?

Am 24. November entscheiden die Stimmberechtigten über die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen. Unabhängig davon, ob Leistungen im Spital, in einer Arztpraxis oder von einer Pflegeeinrichtung erbracht werden, sollen sie künftig nach dem gleichen Kostenschlüssel von Kantonen und Versicherern mitfinanziert werden.

Pro

«In der Schweiz werden deutlich mehr Behandlungen stationär im Spital durchgeführt als medizinisch notwendig sind. Das verursacht enorme Kosten – ohne konkreten Nutzen für die Patientinnen und Patienten. Der Grund dafür liegt in einem falschen finanziellen Anreiz: Bis heute beteiligen sich die Kantone nur an stationären Leistungen. Wird hingegen ambulant und damit günstiger behandelt, geht alles zu Lasten der Krankenversicherung. Die Reform für eine einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen behebt diesen Missstand. Künftig macht es für die Finanzierung keinen Unterschied mehr, ob jemand noch für zwei Tage zur Beobachtung im Spital bleibt oder sich zu Hause ins Bett legt und zur Kontrolle den Hausarzt kontaktiert. Die Reform bringt damit drei grosse Vorteile: Erstens bremst sie den Kostenanstieg im Gesundheitswesen, weil effizienter behandelt wird. Zweitens entlastet sie das Spitalwesen, das unter Personalmangel leidet. Und drittens ist die einheitliche Finanzierung ein unverzichtbarer Schritt in Richtung eines modernen Gesundheitswesens, das die Begleitung von Patientinnen und Patienten besser koordiniert und ganz auf Qualität und Effizienz setzt. Nach rund acht Jahren soll auch die Langzeitpflege in dieses Konzept eingebunden werden. Diese lange Übergangsfrist dient dazu, die Umsetzung für die Prämienzahler kostenneutral zu gestalten.»

Daniel Rochat

Daniel Rochat
Leiter Departement Leistungen SWICA

Contra

«Vor zwei Jahren erschütterte der Skandal um den Pflegeheimgiganten ORPEA Frankreich. Journalisten deckten auf, wohin absurde Profitorientierung in der Langzeitpflege führt: steter Personalmangel, Pflegerationierung, miserable Qualität und zu wenig Essen. Die Gründe dafür: marktorientiertes Profitstreben und fehlende politische Steuerung und Aufsicht. In der Schweiz herrschen diesbezüglich (noch) andere Zustände. Aufsicht, Steuerung sowie ein erheblicher Teil der Finanzierung der Langzeitpflege liegen heute bei den Kantonen. Mit der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen würden diese Finanzierungs- und Kontrollmechanismen abgeschafft und durch eine pauschale Tarifstruktur abgelöst. Die unterschiedlich ausgestalteten kantonalen Systeme sind nicht perfekt, aber sie haben sich bewährt. Sie sind dezentral, bevölkerungsnah und haben dafür gesorgt, dass die Schweiz in den letzten 20 Jahren weitgehend von Pflegeskandalen verschont geblieben ist. Ungeklärt sind die Kostenfolgen der einheitlichen Finanzierung – der Anteil der älteren und pflegebedürftigen Bevölkerung wächst, ebenso die Pflegekosten. Diese Kostensteigerungen müssten neu auch die Krankenversicherer tragen, was einen erneuten Prämienschub zur Folge hätte. Die einheitliche Finanzierung löst also keine Probleme, schafft aber viele neue.»

Natascha Wey

Natascha Wey
Generalsekretärin VPOD

15.10.2024 / aktuell 4-2024