«Corona hat das Gesundheitswesen weiter verpolitisiert»
Sie setzt sich auf dem politischen Parkett für SWICA-Interessen und ihre Versicherten ein. Ann-Karin Wicki leitet bei der Gesundheitsorganisation die Abteilung Public Affairs. Im Interview erklärt sie, was eine Krankenversicherung mit Politik zu tun hat und warum es heute schwieriger ist, sich in Bundesbern Gehör zu verschaffen.
Frau Wicki, unter dem Begriff Public Affairs können sich längst nicht alle etwas vorstellen. Was also macht eine Leiterin Public Affairs genau?
Ich betreue quasi die Aussenpolitik von SWICA. Ganz konkret geht es um die Beziehungen zu den für uns wichtigen Politikern, zu den Verbänden, zu den weiteren Interessensträgern im Gesundheitswesen und natürlich zu den Mitkonkurrenten auf dem Markt.
Eine Krankenkasse kümmert sich doch aber um die Gesundheit ihrer Versicherten. Braucht es da die politische Arbeit?
Es braucht sie nicht nur, sie ist entscheidend. Das Gesundheitssystem ist stark von der Politik bestimmt. Aktuell sind gegen 400 gesundheitspolitische Vorstösse im Parlament hängig. Bei meiner Arbeit geht es darum, diese Vorstösse zu überwachen und deren Entwicklung im Auge zu behalten. Im schweizerischen Gesetzgebungsprozess können sich Akteure, also auch die Krankenversicherer, in der Vernehmlassungsphase einbringen. Wir haben die Möglichkeit zu Gesetzesentwürfen Stellung zu nehmen. Die Ziele sind klar: Wir wollen die wichtigen SWICA-Positionen einbringen und dafür sorgen, dass diese idealerweise im Gesetz verankert werden.
Die starke Prämienerhöhung diesen Herbst sorgte für viel politischen Gesprächsbedarf. Wie nehmen Sie das wahr?
Hier arbeiten wir stark mit dem Branchenverband Santésuisse zusammen und folgen dessen Argumentationslinien und Sprachregelungen. Spannend ist, was in der laufenden Wintersession passieren wird. Stossrichtungen sind noch nicht abzusehen. Aber wir rechnen mit einigen Vorstössen.
Rund um die Kostensteigerung ist neben alternativen Modelle auch die integrierte Versorgung ein wichtiges Thema. Hier positioniert sich SWICA ja deutlich. Wie wichtig ist das?
Das Bestreben des Bundesrates ist es, die integrierte Versorgung bestimmten gesetzlichen Richtlinien zu unterwerfen. Es geht darum, sogenannte Netzwerk der koordinierten Versorgung – in denen sich Leistungserbringer zusammenschliessen können – als neue Leistungserbringer ins Gesetz aufzunehmen. SWICA sieht hier ein Problem: Die Rahmenbedingungen sind so aufgesetzt, dass die Dynamik unserer Aktivitäten ausgebremst und damit Innovation gelähmt wird. Wir haben deshalb eigene Vorschläge eingereicht und arbeiten an einem Konzept, um das zweite Massnahmenpaket, welches diese Netzwerke enthält, in unserem Sinne anzupassen.
Gerade dieses Beispiel zeigt: Wir prüfen Vorlagen ganz genau darauf, ob sie Auswirkungen auf die Gesundheitskosten haben und ob angekündigte Einsparungen wirklich unseren Einschätzungen entsprechen. Oder ob sich eher eine weitere Kostensteigerung abzeichnet.
Wie nehmen Sie die Regulierung durch den Staat grundsätzlich wahr?
Wir sind aktuell in einer Phase, in der die Regulierung meiner Meinung nach ausgebaut wird. Es gibt deutlich mehr Vorlagen mit dem Ziel, Prozesse, wie Krankenversicherungen ihre Geschäfte abwickeln sollen, über Gesetze zu regeln. Gleichzeitig zeichnet sich ein Ausbau der kantonalen Kompetenzen im Gesundheitsbereich ab.
«Heute ist es im Nationalrat nur schwer voraussehbar, wie eine Abstimmung ausgeht. Man muss immer mit Überraschungen rechnen.» Ann-Karin Wicki, Leiterin Public Affairs bei SWICA
Ist es heute schwieriger auf dem politischen Parkett Ideen durchzubringen?
Ja, das ist es. Bei der letzten eidgenössischen Parlamentswahl kam es zu einer Veränderung. SP, Grüne und Grünliberale haben zugelegt. Die politische Mitte, mit der wir stark zusammengearbeitet haben, hat sich aufgesplittert. Die Parteien befinden sich derzeit in einem gesundheitspolitischen Findungsprozess, was natürlich Folgen für uns hat. Früher war klar: Hat man die die bürgerlichen Parteien auf seiner Seite, dann reicht das für die Mehrheit. Heute dagegen ist es im Nationalrat nur schwer voraussehbar, wie eine Abstimmung ausgeht. Man muss immer mit Überraschungen rechnen.
Hier ist gute Lobbying-Arbeit wichtig. Warum hat diese nicht immer den besten Ruf?
«In der Schweiz hat man sich lange dagegen gewehrt Transparenz zu schaffen. Zwischenzeitlich wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das mehr Licht ins Dunkel bringen soll. Trotzdem ist es noch immer schwierig einen Überblick darüber zu haben, welche Politikerin und welcher Politiker für was steht. Wichtig ist – und dass wird nur selten erwähnt – es gibt von allen politischen Seiten eine starke Lobbying-Arbeit, das ist definitiv nicht nur ein Thema der Krankenversicherer.
Nötig ist die Lobbying-Arbeit aber vor allem aus diesem Grund: Das schweizerische Politsystem ist ein Milizsystem. Unsere Parlamentarier sind keine Berufspolitiker und sind dennoch mit einer enormen Menge an Themen konfrontiert. Sie brauchen den Austausch mit den Branchen, um sich überhaupt einen detaillierten Überblick zu verschaffen. Wir stehen also beratend zur Seite, akzeptieren aber auch, wenn eine Politikerin oder ein Politiker signalisiert, dass sie oder er ab diesem Punkt selber entscheidet, was der richtige Weg ist. Ausserdem sind wir offen für Kontakte mit allen politischen Parteien.
Ein Ausblick in die Zukunft. Was werden im nächsten Jahr die wichtigen politischen Themen für SWICA werden?
Für mich ist das zweite Massnahmenpaket der zentrale Posten. Ein ebenfalls wichtiges Thema ist die Digitalisierung. Der Bundesrat hat angekündigt, das digitale Patientendossier überarbeiten zu wollen. Für mich persönlich ist aber diese Botschaft wichtig: Wir brauchen dringend mehr Ruhe im Gesundheitssystem, damit es aus Kostensicht stabilisiert werden kann. Zum einen erfordert das etwas Mut, Entscheidungen zu treffen, die vielleicht nicht immer populär sind, zum anderen ist nicht für jedes einzelne Thema gleich eine Reform nötig.
Welche Rolle spielt hier Corona. Hat die Pandemie die Lage verschärft?
Corona hat meiner Meinung nach das Gesundheitssystem noch mehr verpolisiert. So sind zum Beispiel die Diskussionen um die Reserven wieder hochgekommen, zudem ist die Forderungshaltung einzelner Akteure zusätzlich gestiegen. Hier muss sich die Politik über Folgendes klar werden: Es spielt eigentlich keine Rolle, ob man über die Krankenkassenprämien oder die Steuern die steigenden Kosten im Gesundheitswesen abfedern will. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Geben die Portemonnaies der Schweizer Bevölkerung das überhaupt (noch) her.
12.12.2022