Entscheidungshilfen im Kampf gegen fiese Keime
Antibiotikaresistenzen stellen eine immer grössere Bedrohung für unsere Gesundheit dar. Um antimikrobielle Resistenzen entgegenzuwirken, hat das Berner Institut für Hausarztmedizin Entscheidungshilfen für Ärztinnen und Ärzte entwickelt. Diese helfen im Arzt-Patienten-Gespräch, unnötige Antibiotikaverschreibungen zu reduzieren. Aktuell werden sie von 18 Medbase Medical Centern in einem Pilotprojekt getestet.
Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind, gehören laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den grössten Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit. Jährlich sterben schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen, weil Antibiotika nicht wirken. Eine neue Studie aus der medizinischen Fachzeitschrift «The Lancet» warnt, dass sich diese Zahl bis 2050 nahezu verdoppeln könnte. 39 Millionen Todesfälle könnten bis dahin aufgrund der Folgen von Antibiotikaresistenzen zustande kommen.
Strategie gegen Antibiotikaresistenzen
Das Problem ist erkannt. Auch in der Schweiz arbeitet man intensiv daran, die Ausbreitung von antimikrobiellen Resistenzen (AMR) zu verhindern. Seit 2015 setzt sich der Bund mit der «Strategie Antibiotikaresistenzen» für einen sorgfältigen und geringeren Einsatz von Antibiotika ein. Dabei wird der Verkauf und Einsatz von Antibiotika überwacht und analysiert. Der «Swiss Antibiotic Resistance Report 2024» hält fest, dass der Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin, nach einem deutlichen Rückgang während der Covid-19-Pandemie, in den letzten Jahren wieder angestiegen ist. Es brauche darum weitere Anstrengungen, um die Wirksamkeit von Antibiotika zu erhalten. Viel Potenzial für Verbesserung gibt es im ambulanten Bereich. Dort werden 87 Prozent der Antibiotika verschrieben. «Etwa die Hälfte davon wäre aber nicht nötig», sagt Dr. med. Adrian Rohrbasser vom Berner Institut für Hausarztmedizin (BIHAM).
Unnötige Antibiotika-Verschreibungen
Eine schweizweite Untersuchung aus dem Jahr 2017 hat gezeigt, dass 80 Prozent aller Antibiotika für nur fünf Infektionskrankheiten verschrieben werden: akute Mittelohrenentzündungen, Harnwegsinfekte bzw. Blasenentzündungen, Halsschmerzen, Nasennebenhöhlenentzündungen und akuter infektiöser Husten. Viele dieser Krankheiten werden durch Viren ausgelöst oder bedürfen – trotz bakteriellen Ursprungs – keiner Antibiotikatherapie. Oft wird trotzdem eine verschrieben.
Die Gründe dafür sind unterschiedlich. «Vielleicht glauben Hausärztinnen und -ärzte, dass ihre Patientinnen und Patienten von ihnen erwarten, dass sie Antibiotika verschreiben. Vielleicht überschätzen sie auch die Komplikationsrisiken der Krankheiten oder die Wirksamkeit von Antibiotika. Gleichzeitig unterschätzen sie die Folgen der Antibiotikaeinnahme wie unerwünschte Nebenwirkungen oder die Gefahr zunehmender Resistenzen», erklärt Rohrbasser.
Hilfsmittel für bessere Entscheidungen
Ein Forschungsteam des BIHAM unter der Leitung von Adrian Rohrbasser hat sich dieser Problematik angenommen: «Wir haben Hinweise, dass Ärztinnen und Ärzte weniger unnötige Antibiotika verschreiben, wenn sie zum neusten Stand der Forschung geschult werden. Wichtig ist zudem, die Patientinnen und Patienten in die Therapieentscheidung miteinzubeziehen», erklärt er.
Gemeinsam mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) hat das Forschungsteam Entscheidungshilfen für den Praxisalltag erstellt, die Ärztinnen und Patienten das Gespräch sowie die Entscheidungsfindung erleichtern.
Die Hilfsmittel beinhalten Informationsblätter mit einer einfachen Zusammenfassung der medizinischen Fakten. Verständliche Grafiken zeigen die Vor- und Nachteile einer Therapie mit und ohne Antibiotika. Ausserdem erhalten die Hausärztinnen und -ärzte Leitfäden für die Kommunikation mit und für den Einbezug der Patientinnen und Patienten, die auf dem Prinzip des «Shared Decision Making» beruhen.
Ob die Hilfsmittel praxis- und alltagstauglich sind, wird nun in einem Pilotprojekt in 18 Medbase Medical Centern getestet.
Drei Fragen an Dr. med. Adrian Rohrbasser vom BIHAM
Gemeinsam gegen Antibiotikaresistenzen
Die Studie aus «The Lancet» ist alarmierend. Wie können wir die drohende Antibiotikakrise aufhalten?
Ein bewusster und zurückhaltender Umgang mit Antibiotika ist entscheidend. Dazu gehört, dass Ärztinnen und Ärzte die neusten Erkenntnisse über die Anwendungsdauer von Antibiotika berücksichtigen. Oft sind kürzere Behandlungsdauern genauso effektiv. Gleichzeitig müssen sich Ärztinnen und Ärzte bewusst sein, was der Vorteil einer Antibiotikabehandlung ist – und wo die Grenzen sind.
Für eine Person mit Vorerkrankungen kann eine Antibiotikabehandlung absolut zentral sein. In anderen Situationen hat sie hingegen nur einen geringfügigen Einfluss auf die Genesung und ist gleichzeitig mit unangenehmen Nebenwirkungen verbunden. Diese können von Magen-Darm-Problemen über Durchfall bis hin zu Nierenproblemen reichen. Die Ärztin muss den Patienten darüber informieren und das Gespräch so aufbauen, dass die Entscheidungsfindung gemeinsam möglich wird. Diesen Prozess, der auch den Patienten in die Verantwortung nimmt, nennt man partizipative Entscheidungsfindung oder «Shared Decision Making».
Wie können Patientinnen und Patienten verantwortungsvoll mit Antibiotika umgehen?
Patientinnen und Patienten sollten unrealistische Erwartungen an Antibiotikabehandlungen vermeiden und im Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt folgende Fragen stellen:
- Was passiert, wenn ich nichts mache?
- Was sind die Behandlungsalternativen?
- Was sind die Vor- und Nachteile der verschiedenen Behandlungsalternativen?
- Brauchen wir für einen Entscheid noch mehr Informationen?
Diese Fragen helfen, gute Entscheidungen im Umgang mit Antibiotika zu treffen.
Resistente Keime kennen keine Grenzen. Nützt es da überhaupt etwas, wenn wir in der Schweiz viel gegen Antibiotikaresistenzen unternehmen?
Ja, wenn innerhalb einer Bevölkerungsgruppe weniger Antibiotika verschrieben wird, hat sie auch weniger mit Resistenzen oder Multiresistenzen zu kämpfen. Die Schweiz hat hier verglichen mit anderen Ländern eine gute Ausgangslage.