Psychische Belastung durch die Arbeit
«Wir alle sind mehr oder weniger fortgeschritten im Burnout-Prozess»
Herr Trösch, was genau ist ein Burnout?
Ein Burnout ist ein Prozess, der aus einer langfristigen Überlastungssituation im Arbeitskontext hervorgeht. Jede und jeder von uns ist mehr oder weniger fortgeschritten in diesem Burnout-Prozess. Ein markantes Beispiel ist vor allem dann gegeben, wenn man eine extreme Arbeitsauslastung hat, seine Freundschaften nicht mehr pflegt, weil die Freizeit zur Erholung gebraucht wird und keine Energie für anderes bleibt. Das kann sich dann aber auch regulieren, sobald der Arbeitsstapel wieder kleiner wird. Problematisch ist in jedem Fall die langfristig komplexe Stressbelastung – eventuell sogar noch begleitet von einer Sinnfrage –, die kein Ende nimmt und von der man sich gedanklich nicht lösen kann.
Wie muss ich mir diesen Burnout-Prozess vorstellen?
Die Belastungsgrenze und der Umgang mit einer Ansammlung von Belastungen unterscheiden sich von Person zu Person. Grundsätzlich lässt sich die Burnout-Entwicklung in fünf Stadien unterteilen:
1. Die Aufbauphase ist geprägt von einem sehr hohen Engagement, wobei man ununterbrochen arbeitet, ohne sich davon zu erholen. Gleichzeitig beginnt man auch, die Teammitglieder abzuwerten und hat das Gefühl, alles selbst machen zu müssen. Es gibt ausser dem eigenen Job nichts Anderes mehr. Die eigenen Bedürfnisse werden ausgeblendet.
2. Im zweiten Stadium verliert man den Überblick und wird unsicher. Alles wird einem zu viel und man kann sich schlecht konzentrieren und sich Dinge nicht mehr merken. Das Privatleben wird immer mehr vernachlässigt und auf der Arbeit nimmt die Motivation und die Kreativität ab. Das Motto lautet nur noch: «Dienst nach Vorschrift».
3. Verflachung: Man ist sehr gedämpft, desinteressiert und gleichgültig unterwegs. Soziale Kontakte vermeidet man und konzentriert sich zunehmend auf eine nahe Bezugsperson. Die Erholungsfähigkeit ist nicht mehr vorhanden. Am Wochenende und in den Ferien kann man nicht mehr abschalten und empfindet diese sogar als belastend. Um mit der Situation zurechtzukommen, kann sich in diesem Stadium der Suchtmittelkonsum verstärken.
4. Im nächsten Schritt wirkt sich dieser andauernde Gemütszustand auf den Körper aus. Man ist anfälliger und häufiger krank, leidet vermehrt unter Kopf-, Rücken-, Glieder- oder Nackenschmerzen und Verdauungsbeschwerden oder kämpft gegen Schlafstörungen.
5. Überwältigt vom Gefühl der existenziellen Verzweiflung und Sinnlosigkeit, ist es einem in der letzten Phase nicht mehr möglich, Freude zu empfinden. Man hat das Leben satt und denkt sogar daran, dieses zu beenden – schlimmstenfalls versucht man es auch.
Welche Charaktereigenschaften haben Personen, die besonders Burnout gefährdet sind?
Es gibt keine eigentlichen Charaktereigenschaften, die ein Burnout begünstigen. Ein ausgeprägter Leistungsdrang kann sicherlich ein Ausbrennen fördern. Diesen Antrieb kann jemand aufgrund seiner Persönlichkeit haben, er hängt aber oft auch mit den Positionen zusammen, welche die Arbeit oder das Leben innehaben. Man hat aufgrund der Umstände, in denen man sich befindet, also wie keine andere Wahl, als einfach zu funktionieren. Ein besonderes Augenmerk sollte allerdings auf die Risikofaktoren gerichtet werden.
Was sind das für Risikofaktoren?
Das können Arbeitsüberlastung, Zeitdruck oder etwa unrealistische Ziele sein. Aber auch fehlende Wertschätzung, keine klare Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben sowie der fehlende Einfluss auf die Arbeitsgestaltung zählen zu diesen nicht zu unterschätzenden Wirkfaktoren auf unsere psychische Gesundheit.
«Ein Burnout lässt sich heilen und stellt weder ein persönliches Versagen noch einen Mangel an Willenskraft dar.» Dominic Trösch, Spezialist Präventionsmanagement bei SWICA
Wie erkenne ich, ob jemand in meinem Team an einem Burnout leidet?
Das ist sehr schwierig, weil sich der Burnout-Prozess meist bis zur Eskalation im Privaten abspielt. Wegen der fehlenden Energie werden die sozialen Kontakte, Interessen und ganz allgemein «Ressourcen-Oasen» nicht mehr genutzt. Dadurch verliert man noch mehr an Energie und wird noch erschöpfter und schlittert somit noch weiter in den Burnout-Prozess rein.
Gibt es trotzdem etwas, das ich als Arbeitskollegin oder Arbeitskollege unterstützend unternehmen kann?
In den Resilienz- oder Burnout-Schulungen, die SWICA ihren Unternehmenskunden anbietet, sage ich den Teilnehmenden immer: Sucht das Gespräch! Der Mensch ist ein soziales Wesen. Der soziale Kontakt ist für uns alle ein Mittel mit enormem Potenzial zur Stressreduktion und damit auch zur Burnout-Prophylaxe. Insbesondere das informelle Gespräch, zum Beispiel in der Pause, kann eine Möglichkeit sein, die Stimmung der Arbeitskollegin oder des Arbeitskollegen abzuholen – auch als vorgesetzte Person. Fällt einem dabei auf, dass ein Teammitglied, das früher immer erzählt hat, was es alles Aufregendes unternommen hat am Wochenende, niedergeschlagen wirkt und nichts mehr macht in seiner Freizeit, sollten die Alarmglocken läuten. Hier empfehle ich nachzufragen. Dafür ist aber ein Vertrauensverhältnis wichtig. Schlussendlich liegt es aber auch immer bei der oder dem Betroffenen, ob Hilfe zugelassen und angenommen wird oder nicht. Denn das Thema ist nach wie vor mit viel Angst und Scham verbunden. Vertraut man sich jemandem an, befürchten leider immer noch viele, als Schwächling wahrgenommen oder gekündigt zu werden.
Welche Massnahmen kann ich ergreifen, wenn ich bei mir selbst Burnout-Tendenzen feststelle?
Als erstes muss man sich nicht dafür schämen, wenn man überbelastet ist. Man sollte beginnen zu priorisieren, wobei man die eigene mentale Gesundheit an erste Stelle setzt. Dafür sollte man Distanz zu der Belastungssituation gewinnen, zum Beispiel indem man in die Ferien geht, sich eine Auszeit gönnt und Arbeiten abgibt. Weiter sollte man das Gespräch mit der vorgesetzten Person suchen und die Überbelastung mit ihr besprechen. Ist die Chefin oder der Chef informiert, können Aufgaben entsprechend neu aufgeteilt und delegiert werden. Durch ein Coaching oder eine Psychotherapie kann man sich begleiten lassen. Viele Firmen stehen ihren Angestellten hierfür mit einem betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) zur Seite. SWICA-Versicherte können zudem das psychologisch-psychiatrische Angebot von santé24 in Anspruch nehmen und sich an eine entsprechende Stelle weitervermitteln lassen. Auch die Hausarztpraxis ist eine gute erste Anlaufstelle.
Langfristig und vor allem bei immer wiederkehrender Arbeitsüberlastung sollte man sich auch überlegen, ob man am richtigen Ort ist. Ist man mit dem Aufgabenrepertoire überfordert, ist der Job eventuell nicht für einen bestimmt. Insbesondere wenn man ein Burnout hatte: Ergibt es wirklich Sinn, wieder an diese Stelle mit den dazugehörigen Aufgaben zurückzukehren?
Abschliessend ist ganz wichtig zu wissen, dass sich ein Burnout heilen lässt und es weder ein persönliches Versagen noch einen Mangel an Willenskraft darstellt. Vielmehr sind es oft gerade die sehr engagierten und motivierten Menschen, welche ein Burnout erleiden.
31.10.2022
Studie «Job-Stress-Index»
Regelmässig ermittelt Gesundheitsförderung Schweiz in Zusammenarbeit mit der Universität Bern und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), inwiefern sich arbeitsbedingter Stress auf die Gesundheit und die Produktivität der Schweizer Erwerbstätigen auswirken.
War es bei Erhebungsbeginn 2014 noch jede vierte erwerbstätige Person, deren Belastung die eigenen Ressourcen überstieg, lassen sich 2022 bereits 28,2 Prozent der Erwerbstätigen, sprich jede dritte Person, diesem kritischen Bereich des Job-Stress-Index zuordnen.
(Quelle Gesundheitsförderung Schweiz, 2022)
Burnout-Challenge in BENEVITA
Mehr rund um das Thema Burnout gibt es auch in der dazugehörigen Challenge in der BENEVITA-App, die auch Nicht-SWICA-Kunden kostenlos herunterladen können.