Chronische Krankheiten
Endometriose: ein Fall für die Forschung, nicht für den Staat
Jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter in der Schweiz leidet an Endometriose, einer Erkrankung der Gebärmutterschleimhaut. Zehn Jahre vergehen im Schnitt, bis die chronische Krankheit erkannt wird. Eine Motion zur Erforschung von Endometriose beschäftigte jüngst auch die Schweizer Politik. Sie ist der Ansicht ist, dass die Krankheit Bottom-up erforscht und nicht Top-down initiiert werden soll. Hier setzt das USZ-Startup FimmCyte an.
Dass die monatlichen Blutungen meist mit Schmerzen und Unwohlsein verbunden sind, ist weitgehend bekannt. Wenn sich das gebärmutterschleimhautähnliche Gewebe (Endometrium) aber ausserhalb der Gebärmutter ansiedelt und Herde im Bauchraum, an den Eierstöcken, am Bauchfell, an der Blase oder sogar am Darm bildet, kann dies zu enorm starken Unterleibsschmerzen führen, die kaum auszuhalten sind. Betroffene Frauen können teilweise für mehrere Tage ausser Gefecht gesetzt sein oder ihren Tätigkeiten nur durch die Einnahme starker Schmerzmedikamente nachgehen. Es vergehen durchschnittlich zehn Jahre, bis die chronische Krankheit diagnostiziert wird. Eine Früherkennung wäre aber wichtig, da die Endometriose sich mit jedem Menstruationszyklus weiter im Körper ausbreiten kann.
Australien und Frankreich sind führend
Australien verfolgt seit 2018 einen nationalen Aktionsplan gegen Endometriose. Den Forschern von Down Under ist im letzten Jahr ein wichtiger Durchbruch gelungen. Sie konnten alle bekannten Gewebearten der Endometriose im Labor nachzüchten, wodurch es künftig möglich wäre, die Krankheit differenzierter und somit auch effizienter zu behandeln. Neben Australien hat sich auch Frankreich einem nationalen Endometrioseplan angenommen. Nach Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist die chronische Krankheit nicht nur ein Problem für die betroffenen Frauen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Denn fast die Hälfte aller Frauen mit unerfülltem Schwangerschaftswunsch ist von Endometriose betroffen. In der Schweiz wurde die Motion für eine stärkere Förderung zur Erforschung der Endometriose im letzten Jahr zwar vom Nationalrat angenommen, aber vom Ständerat abgelehnt. Als Begründung wurde angegeben, dass nationale Forschungsprogramme nicht «Top-down» initiiert werden sollten, sondern über einen «Bottom-up-Ansatz». Es sei nicht die Aufgabe der Politik, die Forschungsprioritäten zu setzen.
USZ-Start-up erforscht neue Behandlungsmöglichkeit
Diesen Ansatz unterstützt SWICA als Partner des USZ Health Innovation Hubs, der 2019 vom Universitätsspital Zürich gegründet wurde. Er soll Start-ups im Gesundheitswesen fördern und so das Leben von Patientinnen und Patienten verbessern. Aussichtsreiche Forschungsergebnisse haben innerhalb von zwei Jahren vom Projekt zum Start-up geführt: FimmCyte forscht an der Entwicklung einer neuartigen Behandlungsmöglichkeit. Dabei soll das eigene Immunsystem der Patientinnen genutzt werden, um das Endometriosegewebe gezielt zu zerstören. FimmCyte CEO Dr. Mohaned Shilaih ist überzeugt, dass diese neuartige Methode vor allem bei Frauen wirken wird, die auf bisherige Behandlungen nicht angesprochen haben.
SWICA: Endometriose-Pilotprojekt
SWICA und der Telemedizinanbieter santé24 möchten herausfinden, wie sie Frauen mit Endometriose zwischen und während ihren Schüben besser unterstützen können. 50 SWICA-Kundinnen dürfen in einem viermonatigen Pilotprojekt ein individuelles Service-Angebot ausprobieren. Dieses besteht aus verschiedenen Bausteinen, wie beispielsweise telefonische Beratungsangebote, Online-Angebote und Home-Services.
Interview Dr. Mohaned Shilaih, CEO FimmCyte
Dr. Shilaih, Sie wollen mit Ihrer Behandlungsmethode nicht nur den weltweit über 176 Millionen Frauen helfen, die von Endometriose betroffen sind, sondern auch das Gesundheitssystem entlasten. Wie gehen Sie dabei vor?
Wir arbeiten an einer neuartigen, gezielten Endometriose-Behandlung. Sie hat das Potenzial, die Standardbehandlung von Endometriose für Patientinnen zu verändern, bei denen die derzeitige Behandlung versagt. Endometriose verursacht pro Patientin und Jahr ähnliche Kosten wie besser untersuchte Krankheiten wie rheumatoide Erkrankungen und nach einigen Schätzungen sogar Diabetes Typ 2. Die physische, psychische und wirtschaftliche Lebensqualität von Frauen mit Endometriose wird durch die Krankheit erheblich beeinträchtigt und jede Verbesserung könnte den wertvollen Beitrag zurückbringen, den diese Frauen aufgrund der Endometriose in der Gesellschaft nicht leisten konnten.
Ich arbeite seit einigen Jahren im Bereich der Frauengesundheit und bin sehr überrascht, wie wenig erforscht sie ist.
Weshalb setzen Sie sich für die Erforschung einer chronischen Krankheit ein, die bisher kaum Beachtung fand?
Ich arbeite seit einigen Jahren im Bereich der Frauengesundheit und bin sehr überrascht, wie wenig erforscht sie ist. Während man in anderen Bereichen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes eine Vielzahl an Forschungsarbeiten und Antworten von diversen Forschungsgruppen sowie Unternehmen findet, ist es in der Frauengesundheit oft ein Glücksfall, wenn man überhaupt Literatur zu grundlegenden Themen entdeckt. Ich habe mich oft mit Prof. Brigitte Leeners über Endometriose ausgetauscht und als meine Mitbegründerin Dr. Valentina Vongrad ihren neuartigen Wirkmechanismus zur Behandlung der Krankheit vorschlug, haben wir uns sofort um eine Finanzierung durch Innosuisse bemüht. Diese hat sehr schnell erkannt, dass unser Ansatz ein vielversprechendes, aber auch sehr riskantes Unterfangen ist – wie jede Medikamentenentwicklung.
Weshalb soll genau Ihr Ansatz bei Frauen wirken, die bisher resistent auf andere Behandlungsmethoden reagiert haben?
Bislang beruht die gesamte Endometriosebehandlung auf Hormonen, die die Krankheit aufhalten, aber ihren Verlauf nicht verändern. Chirurgische Eingriffe sind sehr wirksam, aber sie sind invasiv, teuer und riskant. Unsere Behandlung könnte man als eine Operation durch das Immunsystem betrachten, bei der die Behandlung das Immunsystem dazu bringt, krankes Gewebe zu erkennen und zu entfernen. Wir hoffen, dass die Behandlung in der Klinik die gleiche Wirksamkeit zeigt wie bisher in Tiermodellen, denn sie könnte die Standardbehandlung von Endometriose verändern.
Wie sieht der Zeitplan von FimmCyte aus, wann können wir mit der Zulassung rechnen?
Der Weg der Arzneimittelentwicklung ist lang und teuer. Unser bestes Szenario mit beschleunigter Zulassung durch die Gesundheitsbehörden und starker finanzieller Unterstützung durch Investoren wäre eine Marktzulassung in acht Jahren.
Wie unterscheidet sich FimmCyte von der Konkurrenz? Was zeichnet Sie und Co-Founder Dr. Valentina Vongrad aus?
Unser Ansatz basiert auf den Bedürfnissen und Wünschen der Patientinnen. Bei der Entwicklung des Therapiekonzepts mussten wir verschiedene Kriterien berücksichtigen, darunter die Nichtbeeinträchtigung der Fruchtbarkeit, die Vermeidung von Hormonbehandlungen und die Vermeidung chronischer Behandlungen, um nur einige zu nennen. Unsere Behandlung unterscheidet sich deutlich von dem, was bisher für Endometriose entwickelt wurde, da sie auf das Endometriosegewebe abzielt und ein krankheitsveränderndes Potenzial hat. Ich, Dr. Vongrad, Prof. Leeners und das gesamte FimmCyte-Team haben nur ein Ziel: Die derzeitige Standardbehandlung für Frauen mit Endometriose zu verbessern und ihnen hoffentlich eine bessere Lebensqualität zu bieten.