«Wir können es uns gar nicht leisten, nicht integriert zu versorgen»
Steigende Kosten, Fachkräftemangel und mehr Personen mit chronischen oder Mehrfacherkrankungen: Um den Herausforderungen im Gesundheitswesen entgegenzutreten, werden koordinierte, interprofessionelle Behandlungskonzepte immer wichtiger. Christian Frei, Leiter der Abteilung integrierte Versorgung, erklärt im Interview, was das genau heisst und was er und sein Team bei SWICA machen.
Christian, bei Präsentationen und Referaten zeigst du zum Einstieg gerne eine Folie mit einem Bild der Rolling Stones. Warum?
Ich ziehe dabei den Vergleich zur Interprofessionalität in der Gesundheitsbranche: Wie in einer guten Musikband braucht es die Zusammenarbeit aller, «damit‘s giget». Ob Ärzteschaft, Apothekerschaft, Pflege oder Patientinnen und Patienten – keiner darf sich alleine in den Vordergrund stellen und jeder muss rechtzeitig seine Verantwortung wahrnehmen.
Die Musikanalogie kommt nicht von ungefähr: Du bist selber Gitarrist in einer Band. Bleibt neben deiner Arbeit als Leiter der Abteilung integrierte Versorgung bei SWICA genügend Zeit für die Musik?
Was machen du und dein Team genau?
Wir führen verschiedene Projekte mit Leistungserbringenden durch, damit Versicherte gesund bleiben, gesund werden oder mit einer gesundheitlichen Einschränkung gut leben können. Besonders viele Projekte führen wir in diesem dritten Bereich, also mit chronisch Erkrankten, durch. Zum einen verursachen chronische Krankheiten einen Grossteil der Kosten in unserem Gesundheitswesen – Tendenz stark steigend. Zum anderen können wir mit unseren Aktivitäten und Projekten viel zur Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen beitragen.Stichwort Leistungserbringende: Meinst du Ärztinnen und Ärzte?
Ja genau, aber nicht nur. Wir arbeiten sehr häufig mit Hausarztpraxen zusammen. Sie sind für Patientinnen und Patienten – vor allem für jene mit chronischen Erkrankungen – noch immer häufig die erste und wichtigste Anlaufstelle. Neben Grundversorgernetzwerken gehören aber unter anderem auch Apothekenketten, Telemedizin, Spitäler oder Kliniken zu unseren Partnern.Du hast Pharmazie studiert und zehn Jahre lang eine Apotheke geleitet. Hilft dir dieser Hintergrund bei deiner Arbeit?
Ja unbedingt. Ich war als Apotheker lange bei santémed (heute Medbase) und sanacare tätig und habe mit Ärztinnen und Ärzten eng zusammengearbeitet. Ich kenne daher die Arbeit innerhalb von interprofessionellen Netzwerken. Das hilft mir bei der Einschätzung, ob ein Projekt sinnvoll ist. Gleichzeitig ist die Akzeptanz für unsere Arbeit bei den Partnern höher, wenn wir auf Augenhöhe diskutieren können.Wo hat deine Arbeit den grössten Einfluss?
Bei der Vergütung von Leistungen, die so im Krankenversicherungsgesetz nicht vorgesehen sind. Ich kann ein Beispiel machen: Innerhalb eines Disease-Management-Programms erhält eine Patientin oder ein Patient eine strukturierte Behandlung, die mit allen beteiligten Personen koordiniert wird. Diesen Koordinationsaufwand können die Praxen aber nicht via Tarmed verrechnen. Daher vereinbaren wir mit ihnen vertraglich, dass wir diese und andere Leistungen auch vergüten, weil wir davon ausgehen, dass die Behandlung durch das Programm insgesamt besser und günstiger wird. Das untersuchen wir dann mittels anonymisierten Daten auch.«Die Fachleute, die uns noch bleiben, müssen wir am richtigen Ort und zur richtigen Zeit einsetzen.» Christian Frei, Leiter integrierte Versorgung bei SWICA
Wie hat sich die Diskussion rund um die integrierte Versorgung in den letzten Jahren verändert?
Der Fachkräftemangel schlägt nun auf allen Ebenen voll durch. Für mich ist heute sonnenklar, dass wir es uns gar nicht mehr leisten können, nicht integriert zu versorgen. Die Fachleute, die uns noch bleiben, müssen wir am richtigen Ort und zur richtigen Zeit einsetzen. Und da haben wir Nachholbedarf: In den letzten Jahren hat es zwar neue Berufsgruppen und neue Fähigkeitsausweise im Gesundheitswesen gegeben, die Entlastung bringen könnten. Doch ihre Kompetenzen und Einsatzfelder sind zu wenig bekannt und es gibt keine Tarife und entsprechend auch keine Vergütung für ihre Leistungen. Da stehen wir vor grossen Herausforderungen. Um die Versorgung langfristig sicherzustellen, müssen die Berufsgruppen innerhalb von Netzwerken koordiniert zusammenarbeiten.Weitere Beiträge zum Thema:
- Was ist eigentlich integrierte Versorgung?
- Menschen bei SWICA: Eva Blozik, Leiterin Versorgungsforschung
- Standpunkt: Unnötige Netzwerke zur koordinierten Versorgung
- Beitrag im Kundenmagazin aktuell: Chronisch: Krankheit in den Griff bekommen