Kostentreiber im Gesundheitswesen
Warum die Medikamentenpreise steigen – und was man dagegen tun könnte
«Medikamente in der Schweiz teils doppelt so teuer wie im Ausland» oder «Preisdruck führt zu Engpässen bei Medikamenten» – die Schlagzeilen um Arzneimittel in der Schweiz nehmen kein Ende. Für das Jahr 2023 betrugen die Kosten für Medikamente rund 9,6 Milliarden Franken, das sind über 10 Prozent der gesamten Gesundheitskosten.
Seit 2015 sind die Kosten für Arzneimittel um rund 3 Milliarden Franken auf 9,6 Milliarden Franken gestiegen. Dabei gibt es sowohl ein Preis- als auch ein Mengenwachstum zu beobachten: Einerseits wirken sich gesellschaftliche Entwicklungen wie die fortschreitende Alterung der Bevölkerung aus, andererseits gibt es grosse Veränderungen beim Medikamentenangebot. Es kommen immer mehr Medikamente zur Behandlung von Krebs oder seltener Krankheiten (Orphan Diseases) auf den Markt. Medikamente werden aber auch immer mehr «orphanisiert»: Sie werden zunehmend so hergestellt, dass sie nicht mehr für eine grosse Patientengruppe, sondern nur bei kleinen Gruppen oder gar nur noch bei einzelnen Menschen anwendbar sind (personalisierte Medizin).
Wie Medikamentenpreise zustande kommen
Medikamentenpreise sind grundsätzlich sogenannte Amtstarife. Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) hält fest, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Arzneimittelliste mit Preisen, die sogenannte Spezialitätenliste (SL), erstellt. Die SL enthält alle Medikamente, die von der obligatorischen Krankenversicherung zu bezahlen sind. Bei den SL-Preisen handelt es sich um Höchstpreise. Die effektiv zu bezahlenden Preise dürfen also tiefer, aber nicht höher sein.
Das BAG muss sich bei der Festlegung der Preise an gesetzliche Vorgaben halten: Die Heilwirkung muss mit möglichst geringem finanziellem Aufwand erreichbar sein. Bei der Preisfestlegung berücksichtigt das BAG den Preis für das Medikament, der im Ausland bezahlt wird, und vergleicht die Preise verschiedener Arzneimittel, die zur Behandlung derselben Krankheit eingesetzt werden. Auf Antrag der Pharmaunternehmen kann das Amt während maximal 15 Jahren einen Innovationszuschlag berücksichtigen.
Die SL enthält weitere Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Krankenversicherer ein Medikament bezahlen muss. Darunter fallen beispielsweise Kostengutsprachen, Beurteilung durch den Vertrauensarzt oder Limitationen wie Einschränkungen der Therapiedauer, der Dosierung oder der Patientenzielgruppe.
Die rasante Entwicklung der vergangenen Jahre brachte diese klassischen Preisbildungsmechanismen an ihre Grenzen, weshalb der Gesetzgeber entschieden hat, Ausnahmen zu ermöglichen. Er führte eine sogenannte Einzelfallvergütung ein, die greift, wenn beispielsweise ein Arzneimittel ausserhalb seines üblichen Anwendungsbereichs verabreicht werden soll oder wenn es von der Swissmedic (noch) nicht zugelassen ist. In diesen Fällen verhandeln die Pharmafirmen die Preise mit den Krankenversicherungen. Dazu werden diese Arzneimittel einer Nutzenbewertung unterzogen. Seit dem 1. Januar 2024 sind die Nutzenkategorien und die damit verbundenen fixen Preisabschläge in der Verordnung festgelegt.
Um einen raschen und möglichst kostengünstigen Zugang zu neuen und hochpreisigen Arzneimitteln, insbesondere in der Onkologie oder bei seltenen Krankheiten, zu ermöglichen, kommen sogenannte Preismodelle zur Anwendung. Das BAG und die Pharmaunternehmen oder unter bestimmten Umständen die Krankenversicherer und die Pharmaunternehmen verhandeln sogenannte Preismodelle. Bei Preismodellen existiert hinter dem offiziell bekannten Preis ein zweiter, tieferer Preis. Der tiefere Preis kommt zustande, indem auf dem offiziellen Preis Rabatte gewährt oder indem beim Überschreiten einer festgelegten Kostenhöhe Rückerstattungen fällig werden.
Lösungen sind in Sicht – bisher aber nur teilweise umgesetzt
Zur Dämpfung von Kosten- und Mengenwachstum stehen verschiedene Lösungsansätze im Raum. Krankenversicherer sprechen sich seit langer Zeit dafür aus, Generika oder Biosimilars zu fördern. Solche Nachahmerprodukte sind in der Regel billiger als das Originalprodukt. In der Schweiz sind sie aber immer noch massgeblich teurer als im europäischen Ausland. Der Gesetzgeber hat sich deshalb entschieden, ab 1. Juli 2024 den Vertriebsanteil so zu gestalten, dass die Abgabe des teuersten Medikaments nicht mehr durch falsche Anreize gefördert wird, sondern das günstigere Nachahmerprodukt. Der Vertriebsanteil vergütet die Kosten, die bei Apotheken, Arztpraxen, Spitälern oder Grossisten entstehen. Ein Anlauf, ein Referenzpreissystem einzuführen, das für wirkstoffgleiche Medikamente maximale Preise festlegt, die von den Krankenversicherungen vergütet werden, scheiterte 2021 im Parlament. Ein zweiter Versuch wäre aus Sicht von SWICA prüfenswert.
Neue Medikamente werden immer früher zur Vergütung durch die Krankenversicherung zugelassen. Häufig zu einem Zeitpunkt, an dem die WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) nicht abschliessend beurteilt werden können. Damit kann auch kein korrekter respektive wirtschaftlicher Preis festgelegt werden. Die befristete SL-Aufnahme ist ein Ansatz für eine exaktere Preisfestsetzung. Erfüllen die Arzneimittel die WZW-Kriterien nicht, müssten sie aus dem Leistungskatalog der obligatorischen Krankenversicherung gestrichen werden.
Auch die Einzelfallvergütungen nehmen stark zu, die Verhandlungen mit den Pharmaunternehmen werden komplexer und zeitintensiver. Es zeichnen sich zwei Möglichkeiten ab, wie auf die Kostenentwicklung eingewirkt werden könnte: Erstens müsste das BAG seine Rolle wieder konsequent wahrnehmen und die wirtschaftlichen Preise festlegen. Zweitens müsste geprüft werden, ob unter bestimmten Bedingungen eine provisorische Aufnahme auf die SL während maximal zwei Jahren erfolgen könnte. Diese Zeit sollte genutzt werden, um die definitiven Aufnahmebedingungen zu klären. Scheitert eine Einigung oder werden die Kriterien nicht erfüllt, wäre das Medikament wieder von der SL zu streichen. Dabei sollte es den Krankenversicherungen ermöglicht werden, eine gemeinsame Verhandlungsdelegation zu stellen, die den maximalen Preis festlegt, der über die Grundversicherung bezahlt werden muss.
«Kostentreiber im Gesundheitswesen»:
SWICA beleuchtet verschiedene Kernprobleme
Die Gesundheitskosten sind in den letzten Jahren massiv angestiegen. Gemäss den aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) betrugen sie 2021 86,3 Milliarden Franken, 5,9 Prozent mehr als 2020 und 35 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Die Gründe dafür sind vielschichtig und komplex. In der Serie «Kostentreiber im Gesundheitswesen» beleuchtet SWICA einzelne Kernprobleme des Schweizer Gesundheitswesens, die zum steigenden Kostendruck beitragen.