Kostentreiber im Gesundheitswesen
Gesundheitskosten: Es wird immer mehr und teurer therapiert
Eine neue Studie von SWICA und der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften zeigt, welche Krankheiten die höchsten Kosten verursachen. Ausserdem geht sie auf die grössten Kostentreiber im Gesundheitswesen ein. Gemäss der Studie entsteht fast die Hälfte des Kostenwachstums, weil Schweizerinnen und Schweizer mehr und teurere Gesundheitsleistungen beziehen.
Welche Krankheiten kosten wie viel und was verursacht das Kostenwachstum im Gesundheitswesen? Eine neue Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und SWICA geht diesen Fragen auf den Grund. Dafür haben die Autorinnen und Autoren unter anderem die Abrechnungsdaten von SWICA, der Suva und der Invalidenversicherung sowie Daten des Bundesamts für Statistik zu stationären Leistungen für die Jahre 2012 und 2017 verwendet.
Sie kommen zum Schluss, dass der Hauptgrund für die steigenden Kosten im Gesundheitswesen die Mengenausweitung ist, was auf eine höhere Behandlungsintensität und teurere Therapien hindeutet. Neben der alternden Gesellschaft, dem Bevölkerungswachstum und zunehmenden chronischen Erkrankungen hat fast die Hälfte des Anstiegs mit höheren Kosten pro behandelter Patientin oder behandeltem Patienten zu tun.
Maria Trottmann, Versorgungsforschungsexpertin bei SWICA und Mitautorin der Studie, ordnet die Ergebnisse ein.
Maria, rund die Hälfte des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen zwischen 2012 und 2017 – in Zahlen sind es sechs Milliarden Franken – entstanden durch eine Mengenausweitung. Heisst das, wir gehen öfter in die Arztpraxis und erhalten teurere Medikamente?
Ja, man kann es sich so vorstellen, auch wenn das eine sehr vereinfachte Darstellung ist. Aber es ist richtig, dass aktuell viele neue Therapien auf den Markt kommen, die vom Fortschritt in der Gentechnologie und Molekularbiologie profitieren. Diese neuen Therapien sind meist teuer. Gleichzeitig stellen wir auch bei existierenden Therapien einen intensiveren Einsatz fest. Viele Ärztinnen und Ärzte registrieren den Wunsch nach mehr Abklärungen. Der Anspruch an die Gesundheit hat sich geändert. Einschränkungen, die früher als normal hingenommen wurden, gelten heute schneller und auch bis ins höhere Alter als behandlungswürdig. Es bräuchte von den Ärztinnen und Ärzten viel Zeit und Energie, sich gegen gewisse Abklärungen zu wehren. Entsprechend wird mehr behandelt.
Also geben wir immer mehr Geld für unsere Gesundheit aus. Sind wir denn auch gesünder?
Die Höhe der Ausgaben für eine Krankheit sagt nichts darüber aus, ob die Ausgaben auch zu mehr Gesundheit führen. Ein starker Kostenanstieg bei einer Krankheit ist nicht zwingend ein Problem, solange mit dem Geld viel zusätzliche Gesundheit geschaffen wird. Hingegen ist auch ein bescheidener Kostenanstieg problematisch, wenn er nicht mit mehr Gesundheit einhergeht. Ich kann ein Beispiel machen: Die sogenannten «medizinischen Schein-Innovationen» sind Medikamente oder Therapien, die zu deutlich höheren Preisen auf den Markt kommen als ältere Alternativen, aber für Patientinnen und Patienten kaum Zusatznutzen bringen. Auch bei neuartigen Therapieansätzen kann man sich teilweise fragen, ob die hohen Preise gerechtfertigt sind. Denn zum Zulassungszeitpunkt – dann, wenn die Preise gesetzt werden – ist der zusätzliche Nutzen oft noch gar nicht klar messbar.
«Der Anspruch an die Gesundheit hat sich geändert. Einschränkungen, die früher als normal hingenommen wurden, gelten heute schneller und auch bis ins höhere Alter als behandlungswürdig.»
Maria Trottmann, Versorgungsforschungsexpertin bei SWICA
Wie lässt sich messen, ob sich dieses «Mehr-Machen» für die Patientinnen und Patienten wirklich lohnt?
Es braucht einen stärkeren Fokus auf die Ergebnisqualität. So wird sichergestellt, dass die finanziellen Ressourcen auch dort eingesetzt werden, wo sie den höchsten Patientennutzen schaffen. Eine Möglichkeit zur Messung der Ergebnisqualität sind sogenannte «Patient-Reported Outcome Measures» (PROMs). Sie messen die allgemeine Lebensqualität sowie krankheitsspezifische Einschränkungen oder eben die Absenz von Einschränkungen. Zum Beispiel bei Erkrankungen des Bewegungsapparats – dazu zählen Rücken- oder Gelenkbeschwerden und sie machen knapp 14 Prozent der gesamten Kosten im Gesundheitswesen aus – können PROMs sehr hilfreich sein, um Nutzen und Risiken einer Therapie besser abzuschätzen.
Wie engagiert sich SWICA in diesem Bereich?
Zum Beispiel mit der Patient-Empowerment-Initiative. Das Projekt hat zum Ziel, dass die durch PROMs gemessene Ergebnisqualität auch vergütungsrelevant wird. Damit wollen wir weg von der mengengetriebenen Vergütung hin zu einem System, das Qualität belohnt. Sowieso setzt sich SWICA mit zahlreichen Projekten für eine integrierte Versorgung ein, damit die Ressourcen im Gesundheitswesen optimal koordiniert werden.
Zahlen aus der Studie
Die Gesamtkosten im Gesundheitswesen beliefen sich im Jahr 2017 auf 80 Milliarden Franken. Das waren die teuersten fünf Krankheiten beziehungsweise Krankheitsgruppen:
- Psychische und Sucht-Erkrankungen (11,4 Milliarden Franken)
- Muskulatur- und Skeletterkrankungen wie Rückenschmerzen oder Rheuma (11,0 Milliarden Franken)
- Neurologische Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson (6,8 Milliarden Franken)
- Verletzungen und Unfälle (6,7 Milliarden Franken)
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (6,1 Milliarden Franken)
Von 2012 bis 2017 stiegen die Kosten im Gesundheitswesen um rund 12 Milliarden Franken. Bei diesen Krankheiten nahmen die Kosten am meisten zu:
- Muskulatur- und Skeletterkrankungen (+ 2,5 Milliarden Franken)
- Krebs (+ 1,5 Milliarden Franken)
- Erkrankungen an den Sinnesorganen (+ 1,1 Milliarden Franken)
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (+ 0,9 Milliarden Franken)
- Erkrankungen des Verdauungssystems (+ 0,8 Milliarden Franken)
Serie «Kostentreiber im Gesundheitswesen»:
SWICA beleuchtet verschiedene Kernprobleme
Die Gesundheitskosten sind in den letzten Jahren massiv angestiegen. Gemäss den aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) betrugen sie 2021 86,3 Milliarden Franken, 5,9 Prozent mehr als 2020 und 35 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Die Gründe dafür sind vielschichtig und komplex. In der Serie «Kostentreiber im Gesundheitswesen» beleuchtet SWICA einzelne Kernprobleme des Schweizer Gesundheitswesens, die zum steigenden Kostendruck beitragen.