Bewältigung einer Krise
«Man muss sorgsam und liebevoll mit sich umgehen»
Frau Schmid, wie merkt man, dass man sich in einer psychischen Schieflage befindet?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da dies von Mensch zu Mensch verschieden ist. Eine Krise kann sich durch psychische Symptome, körperliche Beschwerden und/oder durch Schwierigkeiten in der Gestaltung von sozialen Beziehungen zeigen. Mögliche psychische Symptome oder Beschwerden, die wir in Krisenzeiten wahrnehmen können, aber nicht zwingend bei jeder Person auftreten müssen, sind meist Gefühle von Angst, Panik oder Hilflosigkeit.
Dabei verhindert eine innerliche Angespanntheit und Erregung, dass man sich gut entspannen kann. Oft nimmt man auch wahr, wie die Nerven blank liegen. Kleine Anlässe reichen aus, dass sich der eigene Zustand (wieder) verschlechtert. Aber auch das Denken ist eingeschränkt. Die Welt um einen herum wird als schwarz-weiss und Menschen sowie Situationen nur undifferenziert wahrgenommen. So ist es auch kaum mehr möglich, persönlich zu beurteilen, was nun gut und richtig oder schlecht und falsch ist. Das Gedankenkreisen nimmt hier meist seinen Lauf, aus dem man sich kaum mehr lösen kann. Es stellen sich Konzentrationsprobleme ein, die auch zu Lern- und Leistungsschwierigkeiten führen.
Im Verhalten sind Menschen in einer Krise häufig fahrig und auch desorganisiert. Wir erleben diese Menschen dann als sprunghaft und unkoordiniert, teilweise auch aggressiv. Immer wieder kommt es vor, das Ersatzhandlungen durchgeführt werden, die für Aussenstehende absurd erscheinen. So beginnt man zum Beispiel, nachdem man eine schlimme Nachricht wie zum Beispiel den Tod eines geliebten Menschen erhält, die Wohnung zu putzen. Im extremen Fall können hier auch Suizidgedanken auftreten oder Gewalt an anderen Dingen oder Menschen verübt werden.
Wie wirkt sich dieses Verhalten auf unser Umfeld aus?
Unter den psychischen Folgen einer Krise leiden auch unsere sozialen Beziehungen. Man zieht sich aus dem Freundeskreis und von der Familie zurück und kapselt sich ab. Häufig hat man keine Lust mehr, Freizeittätigkeiten, die vor der Krise gerne ausgeführt wurden, auszuführen. Betroffene stossen in ihrem Umfeld auf Unverständnis und verstehen ihr Umfeld nicht mehr. Auch dies begünstigt den sozialen Rückzug.
Beeinflusst eine Krise auch den eigenen Körper?
Ja, auch unser Körper ist betroffen. Menschen in Krisensituationen verspüren eine starke Müdigkeit und/oder Abgeschlagenheit. Meistens leiden sie unter Schlaflosigkeit. Aber auch der Verdauungsapparat reagiert mit Magen- und/oder Darmbeschwerden. Häufig wird dann von Kopfschmerzen und/oder Schwindel berichtet. Das Herz kann rasen, wir leiden unter Atemnot oder Zittern. Auch unser ganzer Bewegungsapparat kann uns Beschwerden bereiten. Häufig leiden wir auch unter Appetitlosigkeit oder übersteigerten Appetit, was meist zu einem Verlust oder einer Zunahme des Körpergewichtes führt.
Jugendliche müssen in Krisen zum Teil mit heftigen eigenen emotionalen Reaktionen zurechtkommen. Birgit Schmid, Verantwortliche Fachbereich Psychologie bei SWICA
Wie kann man mit Krisen umgehen?
Menschen bewältigen im Leben immer wieder schwierige Situationen, wodurch sie an Lebenserfahrung gewinnen. Zur Bewältigung einer Krise können sie auf ebendiese Lebenserfahrungen zurückgreifen. Ob eine Krise jedoch gut bewältigt werden kann beziehungsweise weniger intensiv oder schwer wahrgenommen wird, hängt davon ab, wie rasch Hilfe für die betroffene Person verfügbar ist. An dieser Stelle ist jedoch nicht nur die Fremdhilfe entscheidend, sondern auch wie rasch man sich selbst in einer Krise helfen kann.
Wie geht das?
Man soll sich bewusstmachen, was man erlebt hat oder gerade erlebt. Diese Situation soll man sich nicht nur rational, sondern auch emotional vor Augen führen. Dadurch findet ein Verknüpfen einer wahrgenommenen Situation mit den damit verbundenen Gefühlen statt, was eine Verarbeitung einer Krise unterstützt.
Ist man noch in der Krisensituation, soll man diese wann immer möglich verlassen. Wichtig ist, sich an einen Ort zu begeben, wo man sich wohl und geschützt fühlt. Man muss keine Heldin oder kein Held sein, sondern sorgsam und liebevoll mit sich umgehen.
Weiter soll man Kontakt zu einem vertrauten Menschen aufnehmen. Dies ist manchmal gar nicht einfach, da wir in Krisensituationen eher die Tendenz haben, uns zurückzuziehen. Um Krisensituationen bewältigen zu können, ist jedoch auch ein positiver mitmenschlicher Kontakt wichtig, der sich um uns kümmert und uns Halt gibt.
Reicht die Selbsthilfe zur Bewältigung der Krise nicht aus, soll man unbedingt professionelle Hilfe annehmen. Je früher die professionelle Hilfe einsetzt, desto schneller kann die Krise bewältigt werden. Das muss nicht immer eine Psychotherapie sein, die Unterstützung sollte jedoch auf die erlebte Situation ausgerichtet und von begrenzter Dauer sein. Sie erfordert auch eine aktive Haltung der helfenden Person.
Und Jugendliche: Wie kann man sie in Krisen unterstützen?
Jugendliche verfügen oftmals noch nicht über dieselbe Lebenserfahrung wie Erwachsene. Ihr Gehirn befindet sich insbesondere in der Pubertät noch im «Reifungsprozess», weshalb ihr Verhalten stark über das limbische System (Sitz des emotionalen Ichs) gesteuert wird. Jugendliche müssen in Krisen zum Teil mit heftigen eigenen emotionalen Reaktionen zurechtkommen. Um den Verlauf einer Krise gut bewältigen zu können, sind sie stärker als Erwachsene auf Fremdhilfe angewiesen.
Hier sind vor allem ihre Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen, die ihnen Halt und Orientierung geben, gefragt. Das ist nicht immer einfach, da sich Jugendliche in der Pubertät immer mehr von ihren Eltern abgrenzen möchten. Umso wichtiger ist es für Eltern deshalb, ihren Kindern in einer Krisensituation Verständnis entgegenzubringen – Vorwürfe, Schuldzuweisungen oder Belehrungen sind fehl am Platz. Dabei sollte man sie nicht zum Gespräch zwingen, sondern besser eine passende Gelegenheit dafür abwarten.
Beim Austausch soll man der oder dem Jugendlichen Zuversicht und Hoffnung geben, dass eine gute Lösung oder eine Verbesserung der Situation möglich ist. Am besten unterstützt man sie oder ihn darin, indem man den gewohnten Tagesablauf möglichst beibehält. So soll, wann immer möglich, zum Beispiel die Schule oder die Ausbildung, Hobbies und Freizeitaktivitäten weitergeführt werden. Dabei sollen beide Elternteile an einem Strang ziehen.
Wie bei Erwachsenen kann aber auch bei Jugendlichen eine fachliche Unterstützung zur Bewältigung der Krise notwendig sein. Anstelle einer Psychotherapie können auch Jugendbegleitungen der Gemeinden und Städte wertvolle Unterstützung bieten.
16.01.2023